Kapitalismus als Groteske

© S. Fischer Verlag

Mit seinem zweiten großen Roman, der Industriellen-Groteske Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine, beschreitet Alfred Döblin neues Terrain, ohne die einmal betretenen Pfade ganz zu verlassen. Im Mittelpunkt dieser Satire steht ein Berliner Fabrikant, der angesichts des technologischen Fortschritts und seines kapitalistischen Konkurrenten völlig aus dem Häuschen gerät.

Auf den ersten Blick ist Alfred Döblins zweiter großer Roman, Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine, so ganz anders geartet als der Vorgänger Die drei Sprünge des Wang Lun. Statt im Alten China befinden wir uns in der Gegenwart, in der Großstadt Berlin, die für den Autor bis zu seiner Flucht vor den Nationalsozialisten zum Mittelpunkt seines Lebens und Schreibens werden sollte.

Im Zentrum des Romans steht der Industrielle Franz Wadzek. Seine „Lokomobil- und Dampfmaschinenfabrik“, die Kolbenstoßmotoren produziert, kann mit dem technologischen Fortschritt nicht mehr mithalten. Der Konkurrent Jakob Rommel fertigt überlegene Turbinen und plant zudem, durch Aktienkäufe die Mehrheit an Wadzeks Fabrik nach und nach zu übernehmen. Vor lauter Angst um seine Existenz lässt sich Wadzek zu ungewöhnlichen Maßnahmen hinreißen, um Rommels Treiben Einhalt zu gebieten und das eigene Lebenswerk zu retten. Er bittet Rommels Geliebte Gaby, der er früher einmal geholfen hat, den Konkurrenten auszuforschen. Außerdem versichert er sich der Loyalität des Ingenieurs Schneemann, der in Rommels Fabrik arbeitet und sich von diesem ausgebeutet sieht.

Grotesker Kampf gegen den Konkurrenten

Doch eine mit Schneemanns Hilfe angezettelte Spionageaktion gegen den Widersacher scheitert. Wadzek zieht sich daraufhin in sein Wochenendhaus nach Reinickendorf zurück. Im Glauben, nicht nur Rommel, sondern die ganze Gesellschaft gegen sich zu haben, sieht er sich in einem buchstäblichen „Belagerungszustand“, der jedoch lediglich seiner Einbildung entspringt. Immer irrationaler werden seine Handlungen, immer grotesker sein ‚Kampf‘ gegen den Konkurrenten. Frau und Tochter entfremden sich ihm zusehends. Schließlich kehrt die Familie in die Stadtwohnung nach Berlin zurück.

Dann verlässt Wadzek zu allem realen und imaginierten Unglück auch noch sein Kumpane Schneemann. Von sich selbst und seiner Existenz angeekelt, zerschmettert Wadzek den großen Spiegel in seiner Wohnung; er zerbricht in zahllose Splitter wie das Ich des Protagonisten. Nur Gaby bleibt Wadzej am Ende noch. Sie verspürt Mitleid mit ihm und fühlt sich zunehmend angewidert vom tyrannischen und egomanischen Rommel, der jetzt tatsächlich plant, Wadzek ins Gefängnis zu bringen und damit als Konkurrent endgültig aus dem Weg zu räumen. Mit Gaby zusammen plant Wadzek ein neues Leben; schließlich verlassen die beiden Berlin und brechen per (turbinenbetriebenem) Schiff nach Amerika auf, wo Wadzek hofft, eine Stelle als technischer Dozent zu finden- ein durch und durch ironisches, fast schon sarkastisches Ende.

Technik als zentraler Topos der Moderne

In seinem zweiten großen Roman setzt sich Döblin mit einem zentralen Topos der Moderne auseinander, der Technik. Wadzek kreist um die Frage, was der unaufhaltsame und immer schneller vorwärtsdrängende technologische Fortschritt eigentlich mit dem Individuum, das sich diesem Prozess ausgeliefert sieht, macht. Dabei fällt zunächst auf, dass Döblin hier keine Perspektive ‚von unten‘ einnimmt, also etwa einen einfachen Fabrikarbeiter zum Protagonisten macht, sondern im Gegenteil einen Industriellen zur Hauptfigur wählt. Dadurch kann der Roman zum einen zeigen, wie der industrielle Fortschritt selbst über diejenigen hinwegrauscht, die ihn vermeintlich steuern; zum anderen wird deutlich, dass im Kapitalismus nicht nur ein Konflikt zwischen den unterschiedlichen Klassen herrscht, sondern gleichzeitig auch ein geradezu vernichtender Konkurrenzkampf der Fabrikbesitzer untereinander stattfindet.

Döblin ist fasziniert von seinem neuen Thema. Nach einer Phase innerer Widerstände, deren Ursache nicht zuletzt in der komplizierten Publikationsgeschichte des Wang Lun liegt, beginnt er Ende Juli 1914, kurz nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, sein neues Projekt. Wie im Fall des Vorgängerromans hat Döblin zuvor erst einmal wie ein Besessener recherchiert, hat sich in Berge von Maschinenstudien vergraben und mehrmals die Fabrikgelände von Siemens und A. E. G in Berlin besucht. Zunächst plant der Autor eine Romantrilogie, die den Übergang vom Kolbenmotor über die Dampfmaschine hin zum Ölmotor darstellen soll. Doch das ehrgeizige Projekt wird nie vervollständigt. Ende 1914, nachdem er das Manuskript in wenigen Monaten heruntergeschrieben hat, meldet sich der Arzt Döblin als Freiwilliger beim Militär. Bis zum Ende des Krieges wird er in diversen Lazaretten eingesetzt und überarbeitet währenddessen unermüdlich seinen Roman, der erst 1918 erscheinen kann.

Ästhetische Orientierung am Kino

So sehr sich das Thema des Romans und seine Ausführung auch vom vorangegangen Historienroman Wang Lun unterscheiden mögen – der Autor hat sich mit dem Wadzek keineswegs neu erfunden. Im Gegenteil: Nach wie vor fühlt sich Döblin seinen romantheoretischen Überlegungen, die er im Berliner Programm von 1913 dargelegt hat, verpflichtet:

„Die Darstellung erfordert bei der ungeheuren Menge des Geformten einen Kinostil. In höchster Gedrängtheit und Präzision hat ‚die Fülle der Gesichte‘ vorbeizuziehen. Der Sprache das Äußerste der Plastik und Lebendigkeit abzuringen. Der Erzählschlendrian hat im Roman keinen Platz; man erzählt nicht, sondern baut.“

Mehr als zuvor orientiert sich Döblin in seinem neuen Roman an der Ästhetik des zeitgenössischen Films. Die einzelnen Szenen sind knapp gehalten und kontrastiv geschnitten. Auf die im Wang Lun so wirkungsvoll und innovativ eingesetzten Massenszenen wird hier völlig verzichtet. Stattdessen ist das Tableau auf wenige Figuren reduziert, die wie in Großaufnahme gezeigt werden, jedoch seltsam überzeichnet und grotesk verzerrt wirken. Es handelt sich eher um Typen denn um wirkliche Charaktere, man spürt deutlich den Einfluss des Stummfilms. Döblin bleibt seiner antipsychologischen Haltung treu und verzichtet konsequent auf jegliche Innenansichten seiner Figuren. Nur die äußeren Bewegungen und Reaktionen werden notiert.

Anhand der gegensätzlichen Figuren Wadzek und Rommel wird der Wandel des Unternehmertums demonstriert. Jener ist ein Fabrikant alter (und altmodischer) Schule, dieser ganz der eiskalt und brutal kalkulierende Kapitalist, der über den Aufkauf von Aktien seine Macht zu sichern und auszubauen versteht, und die gnadenlose Vernichtung seines Konkurrent dabei schulterzuckend in Kauf nimmt. Wadzek versteht diese Mechanismen des Marktes nicht; er ist dem ökonomischen und technologischen Fortschritt schlicht nicht gewachsen und reagiert irrational. Indem er sich der kühlen Analyse seiner Situation und der möglichen Optionen verweigert und stattdessen – im Glauben, Opfer einer Verschwörung geworden zu sein – auf unüberlegte und letztlich völlig unwirksame Intrigen setzt, stößt er sich selbst nur tiefer in den Abgrund. Sein Feldzug gegen Rommel und die ganze Gesellschaft wird stetig absurder und verfehlt sein Ziel völlig.

Gegen Fontane

Diese grotesk-verzerrten, jegliche Logik entbehrenden Handlungen Wadzeks spiegelt der Roman im Erzählverfahren wider, was den Text bis heute schwer lesbar macht. Völlig disproportional konstruiert sind manche Episoden, allzu grell wirken die Effekte, unverhältnismäßig der sprachliche Aufwand. Doch das ist alles gewollt. Dieses Buch ist nicht zuletzt ein narratives Experiment, das die Möglichkeiten des Romans bis an die Grenzen auslotet. Und nicht zuletzt handelt es sich beim Wadzek um eine mehr oder minder versteckte Abrechnung mit Theodor Fontane, dessen poetischen Realismus Döblin ein für alle Mal zu überwinden hoffte.

Döblin hatte für den bourgeoisen Fontane, den er (zu Unrecht!) für einen provinziellen Philister hielt, nicht viel übrig. Zu behaglich schienen ihm dessen Romane mit all den Kommerzienräten, Näherinnen und Offizieren. Nicht umsonst greift er den älteren Kollegen auf dessen ureigenstem Territorium an. Döblins Berlin ist nicht mehr das kultivierte Spree-Athen, sondern ein vibrierender, chaotischer, sich permanent in Bewegung befindender Hintergrund voll Lärm und Fabrikschloten, vor dem sich die technischen Revolutionen und industriellen Kämpfe der Zeit abspielen.

„Menschen zwischen den Häusern, über den Granitplatten, Menschen neben den Wagenrädern, Menschen auf den Sicherheitsinseln. Über den nassen Rücken des Asphalts, der Riesenrampe, rollen die Kutschen. Pneumatiks, zum Platzen gebläht, schaukeln den Oberbau leichter Autos, die sich wie ein Einfall nähern […] Die Donnertürme der Autobusse torkeln heran; um ihre Galerien ziehen sich weit sichtbare Plakatschilder: Manolizigaretten, Luhns Seife, Niveakreme, die beste Glühlampe der A. E. G. […] Der Abgrund zwischen den Häusern überspannt von metallenen Drähten, Bogenlampe hinter Bogenlampe, eine schwebende endlose Flammenlast. An Straßenecken gußeiserne Kandelaber auf Steinböcken montiert; die Wogen der Menschen prallen dagegen, teilen sich.“

Die Stadt Berlin selbst ist hier zwar noch nicht Protagonist – das wird sie bei Döblin anderthalb Jahrzehnte später in Berlin Alexanderplatz -, aber eben doch mehr als nur bloße Kulisse. Sie fungiert als Brennspiegel der zentralen Konflikte der Gegenwart, als Kampfplatz einer mit aller Gewalt hereinbrechenden Moderne, womit sich Döblin klar in die Tradition der Großstadtliteratur etwa Baudelaires (Die Blumen des Bösen, 1857/68) und Rilkes (Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, 1910) einreiht.

Roman hinterlässt zwiespältigen Eindruck

Gelegentlich hat man Döblin vorgeworfen, die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges im Wadzek gänzlich auszublenden. Das ist ein wenig ungerecht. In der Tat spielt dieses epochale Ereignis im Roman keine unmittelbare Rolle. Doch die Zersplitterung des Individuums angesichts einer immer brutaleren und von Vernichtungskämpfen geprägten Maschinenmoderne bildet eindrucksvoll den zeitgeschichtlichen Hintergrund, vor dem sich die Katastrophe des Ersten Weltkriegs entrollen sollte.

Allen Innovationen und aller erzählerischer Kühnheit zum Trotz hinterlässt dieser Roman dennoch einen zwiespältigen Eindruck. Letztlich bekommt Döblin das ambitionierte Thema, das er sich gewählt hat, nicht recht zu fassen. Die Kritik an Technik und Kapitalismus versandet in der Groteske; im Grunde ist dieser Roman primär eine Studie des Wahnsinns, der Desorientierung einer Persönlichkeit. Demgegenüber rückt die Zeitanalyse und -kritik immer stärker in den Hintergrund.

Erst mit seinem nächsten Buch, dem epischen Historiengemälde Wallenstein, sollte Döblin wieder an das Niveau des Wang Lun anknüpfen können und einen Text verfassen, der in seinem Genre bis heute Maßstäbe des fiktionalen Erzählens setzt.

Alfred Döblin: „Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine“. Roman. Mit einem Nachwort von Stefan Keppler-Tasaki. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2013. 400 Seiten, Taschenbuch. ISBN 978-3-596-90461-7.

Alfred Döblin: „Schriften zu Ästhetik, Poetik und Literatur“. Mit einem Nachwort von Erich Kleinschmidt. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2013. 640 Seiten, Taschenbuch. ISBN 978-3-596-90462-4.

Zu einer Übersicht meines Döblin-Leseprojektes geht es hier.

2 Gedanken zu „Kapitalismus als Groteske“

  1. Mensch Mensch, in Döblin schlummert aber etwas, das ich schon in „Berlin Alexanderplatz“ erahnen konnte! Das macht solche Lust darauf, ihn weiter zu belesen! Ich hoffe, du kommst mit deinem Döblin-Projekt weiterhin gut voran. Ich folge dem jedenfalls eifrig und will alles wissen. 😉 Eine schöne Analyse. Und dass Döblin sich mit Fontane nicht gut vertragen hätte, glaube ich sofort bei deren markanten Unterschieden!

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