In der Grauzone

© Schöffling & Co. Verlag

Nichts ist schwieriger, als eine Sprache für das Unaussprechliche zu finden. Tadeusz Borowski, der die Vernichtungsmaschinerie überlebte und von ihr dennoch eingeholt wurde, ist dies gelungen. Seine Erzählungen zeigen mit kalter, unerbittlicher Genauigkeit, wie im Lager die Kategorien von Gut und Böse verwischten.

Vielleicht besteht das größte Grauen der Konzentrationslager – neben der physischen Vernichtung von Millionen Leben – darin, dass hier eine Zone vollkommener moralischer Indifferenz geschaffen worden ist. Für diejenigen, die nicht sofort den Tod fanden, sondern durch Zwangsarbeit zerstört werden sollten, verwischten sich angesichts des unausgesetzten Grauens die Kategorien von Gut und Böse, Richtig und Falsch. Wer die Befreiung überlebte, durfte zunächst weiterexistieren. Doch was diese Menschen mitansehen mussten, was sie gezwungen waren, zu tun, veränderte sie oftmals für immer. Dass Schriftsteller wie Jean Améry und Primo Levi, die ihre Erlebnisse literarisch verarbeiteten und veröffentlichten, später freiwillig aus dem Leben schieden, ist kein Zufall.

Eine Leseerfahrung, die man nicht mehr vergisst

Ähnlich erging es auch dem jungen polnischen Autor Tadeusz Borowski, dessen Erzählungen und Erinnerungen über seine Zeit in Auschwitz zu den eindrucksvollsten literarischen Zeugnissen des 20. Jahrhunderts gehören. Wer mit seinen Texten aus dem Band ‚Bei uns in Auschwitz‘ einmal in Berührung gekommen ist, der vergisst diese Leseerfahrung nicht mehr.

Tadeusz Borowski wird 1922 in Schytmoyr, der heutigen Ukraine, geboren. Seine Familie gehört zur dort ansässigen polnischen Minderheit und ist massiven Repressionen seitens der sowjetischen Machthaber ausgesetzt: Beide Eltern werden zwischenzeitlich in verschiedene Straflager verbannt. Schließlich darf die Familie 1934 ausreisen und zieht nach Warschau.

Deportation nach Auschwitz

1939 besetzt die Wehrmacht Polen, allen Einheimischen wird das Studium verboten. Trotzdem bilden sich Untergrund-Universitäten. Hier studiert der junge Tadeusz Literaturwissenschaften und lernt Maria Rundo kennen und lieben; das Paar verlobt sich trotz widrigster Umstände. Der angehende Schriftsteller veröffentlicht heimlich Gedichte und schreibt Artikel für verbotene linke Zeitschriften. Im April 1943 werden erst Maria und dann auch Tadeusz von der Gestapo verhaftet. Wenig später wird Borowski nach Auschwitz deportiert.

Da er weder Jude noch Sinti oder Roma ist, wird er nicht sofort vergast, sondern zur Zwangsarbeit verurteilt. Er wird unmittelbar Zeuge des Vernichtungsprozesses, der im Frühsommer 1944 seinen Höhepunkt erreicht. Zeitweise muss der Häftling an der „Rampe“ arbeiten, wo die Ankommenden von der SS selektiert werden.

Im Winter 1944 wird Borowski nach Dachau verbracht und erlebt dort ein halbes Jahr später die Befreiung. Zunächst wird er jedoch wieder in ein Lager verbracht, jetzt in eines für sogenannte „displaced persons“. 1946 kehrt er über Paris nach Polen zurück. In Warschau trifft er Maria Rundo wieder, die wie er die Lagerhaft überlebte. Sie heiraten sofort. Seine Erinnerungen an Auschwitz veröffentlicht Borowski als Erzählungen in Zeitschriften, außerdem schreibt er Gedichte und kommunistische Artikel; als Presseoffizier geht er 1949 für ein Jahr nach Ost-Berlin.

Ende Juni 1951 bringt Maria die gemeinsame Tochter Małgorzata zur Welt. Wenige Tage später, am 3. Juli, tötet Tadeusz Borowski sich selbst. Er erstickt sich mithilfe des Gasofens in seiner Wohnung.

Klare und nüchterne Prosa

Im Mittelpunkt der Erzählungen Borowksis stehen selten Täter, sondern hauptsächlich die Opfer: Die Arbeitshäftlinge, die um das eigene Überleben kämpfen und  angesichts des unausgesetzten Grauens immer mehr abstumpfen, und immer wieder der nicht enden wollende Strom der zur Vernichtung Selektierten. Gezeigt werden die Überlebensstrategien, die Tauschgeschäfte und der Schmuggel, aber auch die Hierarchien, die sich in der Gemeinschaft der Häftlinge herausbilden. Wer in der Grauzone des Lagers weiterleben will, der darf kein allzu großes Mitleid für das Leid anderer aufbringen. Die schlimmsten Gräuel werden alltäglich.

Was hier beschrieben wird, kann man auch woanders lesen, bei Primo Levi oder Wiesław Kielar, bei Ruth Klüger oder Jorge Semprún. Wie Borowski es beschreibt, ist dagegen einzigartig. Seine Prosa ist klar und nüchtern, nicht wertend, nicht urteilend, schonungslos, oftmals kalt und gar nicht selten grausam sarkastisch. Die Sphäre der Amoralität, die das Lager darstellt, sie findet hier ihre genaue Entsprechung in der Sprache.

„Selbstquälerisch gnadenlos“ nannte der Ungar Imre Kertesz die Texte in seiner Nobelpreis-Vorlesung 2002 und bekannte, im Stil dieser Erzählungen eine wichtige Inspirationsquelle für seine eigene Literatur gefunden zu haben. Borowski selbst konnte seine Erfahrungen nicht verkraften, auch das Schreiben half ihm nicht, das Erlebte zu bewältigen. Am Ende wählte er für sich selbst die Todesart, deren Zeuge er in Auschwitz unzählige Male geworden war. Das Lager hatte ihn letztlich doch nicht entkommen lassen.

Tadeusz Borowski: „Bei uns in Auschwitz“. Erzählungen. Aus dem Polnischen von Friedrich Griese. Schöffling und Co. Verlag, Frankfurt am Main 2006. 424 Seiten, gebunden. ISBN 978-3-89561-329-6.

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