Eine amerikanische Ehe

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Von Barack Obama zur Lektüre empfohlen, von der US-Kritik gefeiert. Tayari Jones‘ Roman über ein Ehepaar, dessen Liebe und Bindung auf eine unerträglich harte Probe gestellt wird, zeichnet ein eindrucksvolles Porträt afroamerikanischer Wirklichkeit im 21. Jahrhundert.

Wäre die Welt ein besserer Ort, wenn man Regierende statt aufgrund ihrer politischen Programme lieber im Hinblick auf ihre Leseerfahrungen wählen würde? Der russisch-amerikanische Dichter Joseph Brodsky jedenfalls stellte in seiner Dankesrede für den Literaturnobelpreis im Jahr 1987 diese These auf. Tatsächlich ist es ja nicht uninteressant, was Politiker in ihrer Freizeit lesen. Vorausgesetzt, sie lesen überhaupt. Vom gegenwärtigen US-Präsidenten hört man, er möge keine Bücher und verliere sogar bei den wenige Seiten langen Exposés seiner Berater rasch die Geduld.

Umso beeindruckender wirkt die Leseliste seines Vorgängers Barack Obama, der nie einen Hehl daraus gemacht hat, sich für zeitgenössische Literatur zu interessieren. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt teilt Obama seine Lektürevorlieben mit der Öffentlichkeit. Eine Empfehlung hat dabei kürzlich für besondere Aufmerksamkeit gesorgt, und zwar nicht nur in den USA, sondern auch hier bei uns.

Zu Unrecht verhaftet

Es handelt sich um den Roman In guten wie in schlechten Tagen (amerik. An American Marriage) der US-Autorin Tayari Jones (*1970). Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht ein junges afroamerikanisches Paar, Celestial und Roy. Sie sind Anfang dreißig, haben beide eine College-Ausbildung und gute Arbeit. Roy strebt eine Karriere als Handelsvertreter an, Celestial will sich als Künstlerin selbständig machen und Puppen produzieren. Die Beziehung der beiden verläuft indes nicht spannungslos: Roy ist ein Draufgänger und Celestial eine äußerst selbstbewusste, unabhängige Frau, die um ihre Fähigkeiten und ihren Wert sehr genau weiß.

Dann schlägt erbarmungslos das Schicksal zu: Roy wird zu Unrecht beschuldigt, eine Frau vergewaltigt zu haben. Er wird verhaftet und trotz Celesitals Alibi zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Wie soll es nun weitergehen? Kann die junge Ehe der beiden diese harte Zäsur überstehen? Reicht es, jemand zu lieben, um eine solche Situation meistern zu können? Celestial hält zunächst zu Roy. Ihre Familie, die sich aus einfachen Verhältnissen heraufgearbeitet hat, organisiert einen Verteidiger, der auch nach der Verurteilung permanent an einer Wiederaufnahme des Verfahrens arbeitet.

Zerrissen zwischen Loyalität und Selbstbestimmung

Doch Celestial ist hin- und hergerissen zwischen der Loyalität zu ihrem Mann und dem Wunsch, ein eigenes, selbstbestimmtes Leben zu führen. Ihre beruflichen Erfolge, die sich bald nach Roys Inhaftierung mehr und mehr einstellen, kann sie mit diesem kaum teilen. Wie soll Celestial damit umgehen, dass das Leben ihres Mannes stillgelegt ist, ihr eigenes sich aber ohne ihn weiterentwickelt? Roy, wütend und zornig angesichts der ungerechten Verurteilung und der Aussichtslosigkeit seiner Existenz, klammert sich hilflos an seine Ehefrau. Sie ist seine einzige wirkliche Verbindung zur Außenwelt, und umso harscher und gröber reagiert er, als er spürt, wie das Band zwischen ihm und Celestial unter der Belastung immer brüchiger wird.

Als dritte Hauptfigur des Romans kommt Andre ins Spiel. Er ist Celestials Jugendfreund, über ihn hat sich das Paar am College einst kennengelernt. Andre versucht, der von ihm heimlich immer noch Angebeteten beizustehen und gleichzeitig Roy gegenüber anständig zu bleiben – doch dieser Spagat zwischen Vernunft und Gefühl wird auch für ihn immer schwieriger zu bewältigen. Als nach Jahren die Hoffnung auf eine vorzeitige Entlassung Roys neue Nahrung bekommt, hat sich einiges im Verhältnis der Drei zueinander verschoben. Wie werden die Beteiligten mit diesen Veränderungen umgehen?

Vorurteile und Diskriminierung bestimmen den Alltag

Tayari Jones‘ Roman stellt auf intensive Weise sowohl das Gefühlsleben der Figuren als auch ihre soziale Bedingtheiten dar, und zeichnet so ein eindrucksvolles Porträt zeitgenössischer afroamerikanischer Realität. Die Rassengesetze des letzten Jahrhunderts sind zwar überwunden; beruflicher Erfolg, finanzielle Unabhängigkeit, Aufstieg in die Mittelschicht – all das ist möglich geworden, für einige Wenige jedenfalls. Und doch ist wirkliche Gleichberechtigung nach wie vor in weiter Ferne. Noch immer existiert Diskriminierung im Alltag, selbst bei denen, die den Aufstieg schaffen. Noch immer bedeutet der Vorwurf an einen schwarzen Mann, sexuelle Gewalt gegen Frauen ausgeübt zu haben, das beinah sichere Ende seiner Existenz – auch wenn er unschuldig ist.

Dabei wird der Rassenkonflikt im Roman gar nicht offen und unmittelbar ausgetragen – alle Charaktere sind ausnahmslos schwarz, auch die von Roy vergewaltigte Frau. Aber die Struktur der Vorurteile bestimmt noch immer den Alltag, sie greift gleichsam schicksalhaft und übermächtig in das Leben der Individuen ein und entfaltet auf grausame Weise ihre irrationale, zerstörerische Macht.

Diese Frauenfigur vergisst man nicht so rasch

Reizvoll an diesem Text ist vor allem die narrative Form: Alle drei Hauptfiguren erzählen das Geschehen aus ihrer eigenen Perspektive, Celestial und Roy führen während seiner Haftzeit überdies einen Briefwechsel. Es gibt also mehrere Sichtweisen auf die Wirklichkeit – mehrere Wahrheiten, wenn man so will –, die einander widersprechen und doch jeweils für sich Gültigkeit beanspruchen.

Vor allem mit Celestial gelingt Tayari Jones eine imponierende Charakterzeichnung: Diese unabhängige, starke und leidenschaftliche, dabei dennoch in sich zutiefst zerrissene Frauenfigur vergisst man so rasch nicht wieder. Dagegen wirken die in ihrer Gegensätzlichkeit sehr reißbretthaft angelegten männlichen Protagonisten etwas flacher: Hier der impulsive, leidenschaftliche Roy (der vielleicht zu sehr dem Klischee des ‚Angry Black Man‘ entspricht) – dort der besonnene, rationale Andre. Auch hätte man sich eine größere sprachliche Differenzierung der verschiedenen Erzähler gewünscht. Beeindruckend allerdings gelingt die Darstellung der sozialen Milieus: Die Unterschiede etwa zwischen dem eher armen Elternhaus Roys und der in die obere Mittelschicht aufgerückten Familie Celesitals sind sehr genau herausgearbeitet.

Schade jedoch, dass sich der Arche-Verlag offenbar nicht getraut hat, für die deutsche Übersetzung den eigentlichen Titel des Romans, An American Marriage, zu übernehmen. Denn dessen politischer Unterton wird mit dem Allerweltstitel In guten wie in schlechten Tagen glatt unterschlagen.

Tayari Jones: „In guten wie in schlechten Tagen“. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Britt Somann-Jung. Arche Literatur Verlag, Zürich/Hamburg 2019. 352 Seiten, Hardcover. ISBN 978-3-7160-2776-9.

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