Miss Brodies Flirt mit dem Faschismus

© Diogenes Verlag

Muriel Sparks kleiner Roman Die Blütezeit der Miss Jean Brodie über eine exzentrische Lehrerin an einer Mädchenschule in Edinburgh ist in Großbritannien längst zum Klassiker avanciert, nicht zuletzt durch die Verfilmung mit Maggie Smith. In der funkelnd frischen Neuübersetzung schillert dieses böse Buch nochmal so schön.

Lehrer- und Schülergeschichten gibt es in der Literatur ja zur Genüge. Gerade in der angelsächsischen Literatur taucht ein bestimmtes Schema immer wieder auf: Ein besonders idealistischer Lehrer nimmt sich vor, den Charakter seiner Schüler nicht weniger zu erziehen als ihren Verstand. So wird er zum bewunderten Mentor einer kleinen Gruppe, die sich alsbald in eine verschworene Gemeinschaft verwandelt.

Ihr Feind lauert draußen in der Welt, gegen deren grausam banale Kräfte der Lehrer seine Schützlinge mit Bildung und Urteilskraft zu immunisieren sucht. Aber ach, das Leben ist ungerecht, und am Ende siegt immer das System – weil die Schule endet, weil der fortschrittliche Lehrer durch die kalte Hierarchie beseitigt wird, weil Verrat von innen sein Werk zerstört. Nüchterne Berufsausbildung triumphiert über die éducation sentimentale. Was bleibt, ist ein wehmütiger Blick zurück auf den verklärten Helden der Jugend: Oh Captain! My Captain!

Mädchen im formbaren Alter

In Muriel Sparks (1918-2006) kleinem Roman Die Blütezeit der Miss Jean Brodie (engl. The Prime of Miss Jean Brodie, 1961) wird dieses bekannte Muster auf wunderbare Weise dekonstruiert. An einer Mädchenschule im schottischen Edinburgh begegnen wir in den dreißiger Jahren einer kleinen Gruppe von Schülerinnen, die wegen ihrer Individualität die ‚Brodie-Clique‘ genannt wird. Ihre Lehrerin Jean Brodie, ledig, nicht mehr ganz jung, aber sehr attraktiv, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die ihr anvertrauten Mädchen zu einer Elite zu formen, zur „crème de la crème“. Sie ist eine ungewöhnlich selbstbewusste und selbstständige Frau, die auf Vorgaben oder Konventionen nicht viel gibt.

Ihren Schülerinnen bringt Miss Brodie kaum praktisches Wissen bei, sondern hält lieber Vorträge über italienische Renaissance-Malerei, Geschichte und ihre verflossenen Liebhaber. Ihr Ziel ist es, den Charakter der Mädchen nachhaltig zu beeinflussen. Damit stößt sie natürlich auf Widerstand, denn die Schulleiterin Mrs. Mackay hält nichts von Jean Brodies Extravaganz. Sie versucht, ihre Arbeit nach Kräften zu sabotieren und Miss Brodie zum Wechsel auf eine andere Schule zu drängen.

„Ich werde in dieser Erziehungsfabrik ausharren. In diese träge Masse gehört unbedingt etwas Sauerteig. Gebt mir ein Mädchen im formbaren Alter, und es ist mein, ein Leben lang.“

Diesem Credo folgt sie beharrlich, schließlich glaubt sich Jean Brodie in der ‚Blüte ihrer Jahre‘, auf dem Höhepunkt ihrer geistigen Fähigkeiten. Unglücklicherweise schwärmt sie jedoch nicht nur für Giotto und Michelangelo, sondern auch für Mussolini und den italienischen Faschismus. Diese dunkle Seite ihres Charakters bringt sie natürlich irgendwann in Gefahr – schlussendlich wird Jean Brodie von einer ihrer Schülerinnen verraten.

Unerfüllte Hoffnungen

Zwei männliche Kollegen verlieben sich im Verlauf der Handlung in Miss Brodie: der attraktive Kunstlehrer Teddy Lloyd und der etwas unbeholfene Gordon Lowther, der Gesang unterrichtet. Jean Brodie hat nur Gefühle für ersteren, beginnt aber schließlich eine Affäre mit Lowther, weil der im Unterschied zu Lloyd unverheiratet ist.

Als die Mädchen schließlich höhere Klassen besuchen und nicht mehr von Miss Brodie unterrichtet werden, versucht diese weiter, die Gruppe zusammenzuhalten und nach ihren Vorstellungen zu manipulieren. Rose, die Schönste unter ihnen, soll an ihrer Stelle eine Affäre mit Mr. Lloyd beginnen. Joyce Emily, ein anderes Mädchen, versucht sie zum Kampf im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Faschisten zu überreden. Natürlich kommt alles anders, als von Jean Brodie erhofft. Keine der Schülerinnen, so viel sei verraten, erfüllt die Hoffnungen ihrer Lehrerin.

Lebendige Figurenzeichnung und ungewöhnliche Erzählweise

Zu einer wirklichen Besonderheit macht diesen Roman, der in Großbritannien längst den Status eines Klassikers erreicht hat, zum einen die außerordentlich pointierte und lebendige Figurenzeichnung, zum anderen die ungewöhnliche Erzählweise. Miss Brodie und ihre Schülerinnen sind derart scharf konturiert gezeichnet und sprechen mit so unverwechselbarer Stimme, dass man nach wenigen Seiten völlig gefesselt ist. Überdies vermeidet der Text jegliche Schwarz-Weiß-Zeichnung, denn alle Charaktere sind komplex angelegt und zutiefst widersprüchlich. Ein endgültiges Urteil, ob Miss Brodie nun eher Mitleid oder doch Verachtung verdient, lässt sich nicht einfach sprechen.

Das nicht-lineare Erzählverfahren unterstreicht dabei noch die Prägnanz der Charakterzeichnung. Eigentlich ist der Roman aus der Rückschau erzählt. Doch der Text springt ständig zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her, so dass die zeitliche Distanz gleichsam aufgehoben wird. In einem Satz charakterisiert Muriel Spark ein ganzes Leben, zum Beispiel das der armen Mary Macgregor aus der ‚Brodie-Clique‘:

„Das habt ihr gut gemacht“, sagte Miss Brodie zu der Klasse, als Mrs. Mackay fort war, „dass ihr auf die Frage nicht geantwortet habt. […] Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Mary, hörst du zu? Was habe ich gerade gesagt?
Mary Macgregor, plump, mit Augen, Nase und Mund wie ein Schneemann und später berühmt für ihre Dummheit und dafür, dass man alle Schuld auf sie abwälzen konnte, Mary, die mit dreiundzwanzig bei einem Hotelbrand ums Leben kommen sollte, sagte auf gut Glück: „Gold.“

Dieses Spiel mit Vorausdeutung (Prolepse) und Rückschau (Analepse) macht einen großen Teil des Reizes dieses Romans aus, zumal die Vermischung der Zeitebenen immer locker und pointiert, niemals aber verwirrend oder gewollt verkünstelt wirkt.

Neuübersetzung wirkt wie ein Jungbrunnen

Keiner der zahlreichen Romane und Erzählbände, die Muriel Spark nach Die Blütezeit der Miss Jean Brodie geschrieben hat, konnte an den Erfolg dieses Buches anknüpfen. Noch Jahrzehnte später bezeichnete die Autorin den Roman als ihre „Milchkuh“, der ein zuverlässiges Einkommen garantierte. 1966 gelangte eine Theaterfassung auf die Bühne – Vanessa Redgrave spielte bei der Uraufführung in London die Hauptrolle. Einen zusätzlichen Popularitätsschub erfuhren Roman und Autorin mit der immer noch sehr sehenswerten Verfilmung aus dem Jahr 1969 mit Maggie Smith als Jean Brodie. Gleichwohl reicht diese Adaption nicht an die Vorlage heran.

Wie gut also, dass der Diogenes Verlag nun eine Neuübersetzung durch Andrea Ott herausgebracht hat, die sich so frisch liest, als wäre der Text in einen Jungbrunnen getaucht worden. Die exzentrische und selbstherrliche Jean Brodie gehört zu den wenigen literarischen Charakteren, die man nicht mehr vergisst. Wer dieses Meisterwerk der schottischen Literatur noch nicht kennt, der sollte unbedingt die Gelegenheit beim Schopfe fassen.

Muriel Spark: „Die Blütezeit der Miss Jean Brodie“. Roman. Aus dem Englischen von Andrea Ott. Diogenes Verlag, Zürich 2018. 240 Seiten, gebunden. ISBN 978-3-257-07008-8.

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